[Filme] Happy People

Happy People, 2010

Ein Jahr in der Taiga

Sibirien erstreckt sich vom Ural bis zum Pazifik und ist eineinhalb Mal so groß wie die USA. Im Herzen der sibirischen Wildnis, fernab der Zivilisation, leben 300 Menschen im kleinen Dorf Bakhtia am Fluss Jenissei. Dorthin gelangt man nur per Helikopter oder per Boot. Hier, tief in der Wildnis, gibt es kein Telefon, kein fliessend Wasser oder medizinische Hilfe. Die Menschen sind auf sich selbst gestellt. Ihr Tagesablauf hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert. Sie leben ihr Leben beständig nach ihren eigenen Werten und Traditionen.

Der Name Werner Herzog war mit bis dato kein Begriff. In der Filmchallenge wird er unter der Kategorie „Deutsches Urgestein“ geführt, also muss er berühmt sein und ich hab mal wieder was verpasst. Mit „Happy People - Ein Jahr in der Taiga“ konnte ich nun wieder eine Wissenslücke füllen und bin begeistert.

Wie bereits mehrfach erwähnt, tue ich mich mit Dokus teilweise eher schwer. Zu nah sind noch die Erinnerungen aus der Schule, als man sich durch erhobene Zeigefinger quälen musste, nur um den Stoff dann gleich darauf wieder zu vergessen.

Aber dieser Film ist anders. Er weckte teilweise sogar das Interesse des Hexenmeisters, der mir schlussendlich ebenfalls gebannt über die Schulter schaute. Dieser Titel ist keineswegs ermüdend oder zäh, sondern faszinierend und sehr, sehr eindrücklich. Wobei ich bei Recherchen herausgefunden habe, dass das ursprüngliche Werk satte vier Stunden dauert. Ich habe die geschnittene Version mit 90 Minuten geschaut und hatte dabei nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben oder dass es Unstimmigkeiten gibt. Auf der DVD sind die geschnittenen Szenen ebenfalls enthalten, diese habe ich bisher aber noch nicht gesehen.

Die Bilder, die Herzog und der russische Regisseur Dmitry Vasyukov (Pomori) aus einem der abgelegensten Gebiete der Welt liefern, sind einfach atemberaubend. Das Dorf Bakhta ist nur im Sommer, und auch dann nur per Schiff oder Flugzeug, erreichbar. Die modernsten Hilfsmittel der Bewohner sind Äxte und Schneemobile. Alles andere stellen die Menschen selber her, mit Methoden, die sie von ihren Grossvätern gelernt haben und diese wiederum von ihren Grossvätern.

Das Leben inmitten dieser rauen Natur ist hart. Was für uns aussieht wie tiefster Winter ist Frühling in der Taiga. Oder Herbst. Im Winter gibt es milde Tage mit angenehmen -33 Grad. Eine Existenz, die uns in unserer „modernen“ Welt absolut fremd ist und beängstigend (und dennoch sehr faszinierend) wirkt. Warum der Film „Happy People“ heisst?

Im Verlaufe der Zeit erfahren wir es. Diese Jäger, die wir ein Jahr lang begleiten, vom Frühling bis in den Winter hinein, leben ein Leben in tiefster Verbindung mit der Natur. Hier ist der Mensch noch eins mit dem Ursprung. Es geht darum, Essen aufzutreiben, sich ein Haus zu bauen, sich auf den Winter vorzubereiten und nebenher ein wenig Geld zu verdienen. Unsere Sorgen, Steuern, Diätpläne, Abgabetermine… - all dies existiert dort nicht. Irgendwie sehne auch ich mich nach solch einem Leben, wie wir es vor Jahrtausenden gelebt haben, auch wenn ich weiss, dass ich den Anforderungen der Taiga kaum gewachsen wäre.

Doch sind es nicht nur die aussagekräftigen Naturbilder (z.B. wie im Frühling der Fluss auftaut und es aussieht, als würde ein ganzes Landstück davon treiben), die diesen Titel unvergesslich machen, sondern auch die Menschen. Diese harten Typen, denen -50 Grad nichts auszumachen scheint und bei denen jeder Hieb mit der Axt sitzt, die dann aber doch mit den Tränen kämpfen, wenn sie davon berichten, wie ein Bär ihren Hund getötet hat.

Aber auch der Humor findet seinen Platz in diesem Film: ein singender Politiker zum Beispiel oder der Hund, der energisch einem Elch hinterher schwimmt. So nimmt der Zuschauer staunend Anteil am Alltag irgendwo in der Mitte Russlands, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, blickt sich hinterher leicht verwirrt um, in seinem Wohlstand des 21. Jahrhunderts und fühlt sich irgendwie leicht entrückt.

Bechdel-Test: nicht bestanden
Tatsächlich fehlte mir ein wenig die weibliche Perspektive auf das Ganze.

Lieblingsszene: Die mit dem schwimmenden Hund und auch jene, in der der Hund 150 Kilometer hinter dem Schneemobil herrennt. Kein Problem, macht Spass. Und ja, ich mag Hunde :)


Produktionsland: Deutschland
Originalsprache: Deutsch, (Russisch)
Originaltitel: Happy People
Regisseur:  Dmitry Vasyukov, Werner Herzog
Label: ArtHouse
Laufzeit: 94 Minuten
FSK: ab 0
Erscheinungstermin: 11.2010

5 Kommentare :

  1. Zur Dokumentation "Happy People" kann ich leider nicht viel sagen/schreiben, denn auch ich bin (noch) nicht so auf einer Wellenlänge mit Dokus. Damit will ich ausdrücken, dass ich diese hier noch nicht gesehen habe. Mir ist aber sehr wohl bekannt, dass Regisseur Werner Herzog bereits mehrere Dokus gedreht hat, und deine Beschreibung der Bildersprache in "Happy People" entspricht genau dem, was ich auch von Herzog's Filmen gewohnt bin.

    Anhand seines Inszenierungsstils ist zu beobachten, dass Herr Herzog ein sehr ruhiger Regisseur aber sicher auch Mensch ist, der sehr philosophisch in der Welt unterwegs ist, den nichts überraschen kann, weil alles genauestens eingeplant, getimt und vorbereitet ist. Natürlich wirkt alles aufgrund dieser Perfektion ein klein wenig zu klinisch gekünstelt. Wenn dich dies nerven sollte, kein Problem, begebe dich einfach auf die Ebene darunter, die Philosophie und auch die Sprache, und dein intellektueller Geist wird mehr als erfreut sein. :-)

    Diese Einleitung bringt mich eigentlich zu folgender Aussage an dich:
    DU KENNST WERNER HERZOG NICHT!!!???

    Der Kerl ist zu recht unter 'Deutsches Urgestein' aufgeführt.

    Den musst du dir unbedingt merken - und nachholen!

    Über seine schwierige Hass-Freundschaft mit dem berühmten Klaus Kinski (mit dem er sage und schreibe fünf (!) Filme drehte) gibt es sogar einen Dokumentarfilm mit Namen "Mein liebster Feind".

    Er ist aber nicht nur ein gefeierter Mensch dafür, dass er den exzentrischen Choleriker Klaus Kinski unbeschadet überstanden hat, er versprüht beim Filmen (egal, ob jetzt bei Dokumentar- oder Spielfilm) einfach so eine auf dich wirkende ruhige, nachdenkliche, das Gehirn stimulierende Aura.

    LG
    Stephan

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ruhig und philosophisch - ja, das passt zu meinem Eindruck nach "Happy People". Und ja, schuldig im Sinne der Anklage :D (von Klaus Kinski dagegen habe ich schon gehört ;)

      Löschen