[Filme] Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe, 2013

Dans la lune Adèle, hein?

Es ist eine kruze, aber schicksalsträchtige Begegnung, als die junge Adèle (Adèle Exarchopoulos) auf dem Zebrastreifen die blauhaarige Emma (Léa Seydoux) erblickt. Kurze Zeit später treffen sich die zwei Frauen in einer Lesbenbar wieder und kommen ins Gespräch. Adèle, ihrer Sexualität noch unsicher, kann sich der Faszination Emmas nicht erwehren. Schon bald werden sie ein Paar, Adèle ist Emmas Muse. Doch Emmas Karriere als Künstlerin stagniert...

Nachdem mir bereits die Graphic Novel, auf welcher der Film basiert, sehr gefallen hat, ergab es sich, dass ich für die Filmchallenge auch die Verfilmung zu schauen. Diese wurde sehr zwiegespalten aufgenommen, einerseits erhielt "Blau ist eine warme Farbe" viele Auszeichnungen, andererseits gibt es viele kritische Stimmen (u.a. Julie Maroh, die Zeichnerin der Graphic Novel).

Meine Meinung ist ebenfalls zweigeteilt. Auf der einen Seite ist der Film von Regisseur Abdellatif Kechiche ein wirklich schön gemachter Streifen und auch eine gelungene Verfilmung, die genung vom Original übernimmt, es aber auch schafft, eigene Wege zu gehen.

Vor allem finde ich die Kameraführung von Sofian El Fani erwähnenswert. El Fani lässt sich Zeit für Details, feine Nuancen und Gesichtszüge. Das Bild zeigt oft längere Strecken dieselbe Szene, wandert langsam von oben nach unten oder von unten nach oben. Ein sehr gestalterisches Werkzeug, das etwas Geduld verlangt, dafür aber viel Tiefe schafft. Bei einem Film, der drei Stunden dauert, kann man solche Inszenierungen auch wertschätzen, da sie Eindrücke vermitteln, ohne dass es der Worte gebraucht.

Die beiden Hauptdarstellerinnen machen ihr Werk sehr gut, auch wenn mir wohl eher Léa Seydoux in Erinnerung bleiben wird. Aufgrund der Geschichte (Film UND Graphic Novel) ist dies jedoch so gewollt. Nur schon Emmas Charakter bedingt dies, so jemanden vergisst man nicht so schnell. Aber auch Adèle Exarchopoulos spielt ihre Rolle wirklich gut und verkörpert Adèle (die im Original einen anderen Namen trägt), ein normales Mädchen von nebenan, auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität.

Weiterhin positiv sind mir während des Schauens die vielen kleinen Details aufgefallen. Die Farbe blau wird hier sehr schön überall im Hinterrund platziert. In der Graphic Novel waren die Bilder schwarz-weiss gehalten, nur Emmas blaue Haare gefärbt. Kechiche hat sich dieses Elements bedient, aber so, dass es filmtechnisch umsetzbar ist. Und so schaut man nicht nur zu, wie die Mädchen erwachsen werden, sondern fischt auch hier und da kleine blaue Dinge heraus. Wundervoll!

Der Film hat viele Preise eingeheimst (u.a. Goldene Palme) und ich kann das absolut verstehen. "Blau ist eine warme Farbe" ist ein eindrücklich inszeniertes Drama, das bleibende Bilder hinterlässt.

Nun jedoch aber zu den Wehrmutstropfen; denn die gibt es leider auch. Es sind nicht viele, aber sie sind -zumindest in meinen Augen- sehr dominant und tragen so dazu bei, dass ich dem Film sehr wankelmütig gegenüberstehe.

Einerseits die berühmten Sexszenen. Sex kann sehr viel zur Stimmung beitragen, vor allem in einem Drama, vor allem in einem homosexuellen Drama. Aber hier muss ich den Kritiken zustimmen: die Szenen sind Porno. Überhaupt nicht schön oder in irgendeiner Weise erotisch. Irgendwann hatte ich sie so satt, dass ich sie übersprungen habe. Angeblich habe sich Kechiche während der Vorbereitung mit keiner einzigen homosexuellen Person unterhalten, was die Kritik unterstreicht, dass die Szenen nicht wiedergeben, wie sich zwei Frauen lieben, sondern nur das zeigen, was sich ein heterosexueller Mann unter "Lesbensex" vorstellt. Das finde ich, auch abseits der Graphic Novel, sehr schade, da ich finde, dass eine gute Recherche zum Handwerk eines Regisseurs gehören sollte.

Dann noch der Schluss. Es stört mich nicht, dass er gegenüber des Comics abgeänder wurde (über sowas kann ich unterdessen hinwegsehen, wenn ich denke, dass der Inhalt und das Gefühl des verfilmten Stoffes gut widergegeben werden, was hier mit obiger Ausnahme der Fall ist). Jedoch finde ich es etwas schade, dass Adèles Zerfall aufgrund der Einsamkeit zwar angedeutet wird, nicht aber ganz thematisiert.

Und zum Schluss noch ein persönliches Manko: es ist ein Film aus Frankreich, was bedeutet, dass viel gegessen wird. Das ist in Ordnung so - aber schliesst doch beim Kauen bitte eure Münder, ja? Im Film kamen mir eindeutig etwas zu oft "zugesaucte" Münder und halb zerkautes Essen vor...

Bechdel-Test: bestanden
Wäre seltsam gewesen, wenn nicht ;)

Lieblingsszene: Das erste Treffen von Adèle und Emma auf dem Zebrastreifen - wundervoll inszeniert!


Produktionsland: Frankreich
Originalsprache: Französisch
Originaltitel: La vie d’Adèle
Regisseur: Abdellatif Kechiche
Label: Quat'sous Films
Laufzeit: 179 Minuten
FSK: ab 16
Erscheinungstermin: 23.05.2013

17 Kommentare :

  1. Einer meiner Lieblingsfilme! Im Nachhinein natürlich wegen der Sexszene bedenklich, wenn sich die beiden wirklich unwohl dabei gefühlt haben. Aber ich fand sie sehr passend und gar nicht überzogen. Es wäre für mich nicht stimmig gewesen, die ganze Zeit auf die Sinne im Film zu zielen und dann den Sex nicht sehr, sehr sinnlich und leidenschaftlich zu filmen.

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    1. Mir kamen die Szenen leider wenig sinnlich und leidenschaftlich rüber, diese hätte man auch anders in Szene setzen können. Aber ich stimme jenen zu, die sagen, dass man den Film nicht auf die Sexszenen reduzieren soll. Ansonsten fand auch ich den Film wirklich gut.

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    2. Ich meine im Sinne von echt. Eine Sexszene, in der man mal Ausschnitte von Körperteilen und Küsse sieht und vielleicht noch Musik darüber legt, ist zwar auch sinnlich und leidenschaftlich, denke aber, dass es hier darum ging Sex zu zeigen, wie er auch ist. Und der ist oft nicht erotisch oder sinnlich, sondern schlicht Sex. Und natürlich ist es pornographisch, schon allein deshalb, weil es zur Schau gestellt wird, aber es passt zum filmischen Thema Liebe und Lust. In The Handmaiden gibt es eine ähnliche Szene, die bewusst mit dem Zuschauer und diesem Voyeurismus spielt.

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    3. Da fehlte noch was...

      So etwas hätte ich hier eher nicht OK gefunden (im anderen Film passt es auch).

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    4. Das stimmt natürlich, Sex ist Sex und nicht immer romantisch und schön. Jedoch habe ich ein Interview mit Maroh gelesen und ihre Aussage bezüglich der Sexszenen war, dass Lesben sich nicht auf diese Art lieben. Ich kann dazu zwar nicht viel sagen, aber da Maroh mehr Erfahrung in diesem Bereich hat als der Regisseur bin ich versucht, ihr zu glauben.

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  2. Als ich den Trailer sah, und auch jede Menge darüber las in puncto Preiserhaltung, da wollte ich ihn mir unbedingt eines Tages mal ansehen - wie eigentlich jeden Film. ;-) :-)

    Ich will ihn immer noch sehen, aber deine Rezi lässt mich jetzt doch ein klein wenig zweifeln. Was mir persönlich auf jeden Fall zusagt ist dir von dir erwähnte Bildersprache. Ich stehs mir total aufs Visuelle bei Filmen - liegt höchstwahrscheinlich an Sergio Leone und Quentin Tarantino *g*. Aber an zweiter Stelle, logisch, folgt bereits der Rest, allen voran NATÜRLICH die Figuren, sprich Charakterentwicklung, und Story, und da hapert es anscheinend, was ich schade finde, denn aus irgendeinen Grund dachte ich mir während der Trailer und der Pressetexte, dass dieses Epos Heterosexuellen die Homosexuellen ein klein wenig näherbringt. Keine Ahnung, wieso, aber so eine Wirkung hatten lediglich die Trailer auf mich. Schade, dass ich in diesem Punkt enttäuscht wurde.

    Deine Meinung zu den Sexszenen, dass sie eigentlich Porno sind, beschreiben wie die Faust aufs Auge die damaligen Dreharbeiten, denn auch die beiden Hauptdarstellerinnen hatten Probleme mit ihnen und auch Regisseur Abdellatif Kechiche (auch sie meinten in einem Interview, dass sie der Meinung sind, er habe keine Ahnung), mit dem sie übrigens nie wieder drehen wollen.

    Lies mal die Geschichte auf Wikipedia unter dem Punkt 'Entstehung und Produktion', die gibt genau deine Rezi sozusagen wider:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Blau_ist_eine_warme_Farbe

    Eigentlich schade, was aus dem Film dann anscheinend schlussendlich geworden ist, denn, um mich noch einmal zu wiederholen, ich hatte damals echt das Gefühl, er würde der Film Nummer eins werden, wenn es darum geht, Heterosexuellen die Homosexuellen näherzubringen.

    LG
    Stephan

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    1. Wenn sich jemand wirklich mit dem Leben der Homosexuellen auseinandersetzen möchte, dann empfehle ich eher "Breakfast on Pluto" und "Pride", wobei auch dieser Film hier Einblick in das noch immer nicht einfache Leben als LGQT gibt. Nur schon die Szene auf dem Schulhof zeigt, wie gross die Vorurteile sind und dass man die nicht so einfach los wird.

      Genannten Abschnitt habe ich auch gelesen und konnte nur den Kopf schütteln. Unter solchen Umständen wirkt die Arbeit der Mädchen nur noch professioneller. Immerhin haben sie es durchgestanden!

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    2. Respekt für die zwei Mädchen. :-)

      LG
      Stephan

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  3. Das kann ich natürlich auch nicht beurteilen und ich mag mich auch irren. Es wirkte "ehrlich" auf mich, wenn man das so sagen kann. Das wiederum ist aber aben auch sehr subjektiv.

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    1. Wenn es für dich stimmt, dann ist das doch auch gut so :) Natürlich ist es ein subjektiver Blick, aber das macht das Ganze ja auch interessant :)

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  4. Hallo!

    Letzte Woche hatte ich die Gelegenheit, mir diesen Film anzusehen.

    Mir hat er sehr gut gefallen, der deutsche Titel ergibt keinen Sinn, der originale französische passt dafür perfekt.

    Besonders beeindruckt hat mich in diesem Film das Zeigen der einzelnen Stadien des Coming-Outs, vom Bemerken einer Anomalität, über das Ausprobieren und Nicht-Wahrhaben-Wollen, bis hin zu der Erkenntnis, und schlussendlich dem Coming-Out.

    Genial, ich musste dabei sofort an mich denken, denn bei mir war es haargenau so. Mein persönliches Coming-Out dauerte allerdings viel länger, und ich würde meinen, die Asexualität ist noch viel schlimmer als die Homosexualität, denn niemand von den 'Normalen' versteht, wieso man keinen Sex so gern haben will. Die Homosexuellen haben wenigstens das.

    Zurück zu den Stadien:
    Bereits in der Schulzeit war ich eher genervt, gelangweilt, angewidert vom Thema Sex, hab es aber nicht registriert. Jahre nach der Schulzeit habe ich es bemerkt, das Desinteresse an Sex, wollte es aber partout nicht wahrhaben, und versuchte mich dazu zu überreden, unbedingt welchen haben zu wollen. Dennoch hat mich mein Kopf immer und immer wieder daran gehindert, bis jetzt jemals Sex gehabt zu haben (und es ist mir auch ziemlich gleich, ob ich jemals ein erstes Mal wenigstens haben werde).

    Nach gründlicher Internet-Recherche und Selbstbestätigung hatte ich dann erst letztes Jahr, 2017, mein Coming-Out, dass ich asexuell bin.

    Und genau meine oben erwähnten Stadien durchlebt Schritt für Schritt haargenau auch Adéle. Und für diese adäquate, reale und fühlbare Präsentation des echten Lebens hat dieser Film auf jeden Fall den größten Respekt verdient.

    Leider gibt es einen dicken, fetten Minuspunkt meinerseits:
    Der Lesbenporno zerstört meiner Meinung nach dieses filmische, gefühlsechte Beziehungsdrama.

    LG
    Stephan

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    1. Schön, dass es endlich geklappt und dass er dir gefallen hat! Es ist auch toll, dass du deine persönliche Erfahrung darin wiedergefunden hast, vielleicht ist es anderen dabei ebenso ergangen?

      Ich denke auch, dass es Asexuelle in der heutigen Gesellschaft schwerer haben als Homosexuelle, die zumindest in unserer Gesellschaft immer breiter akzeptiert werden. Doch in einer so "übersexten" Welt kein Interesse an Sex zu haben, das können bestimmt viele nicht nachvollziehen. Ich beglückwünsche dich auf jeden Fall zu deinem mutigen Coming-Out!

      PS: Der Titel wird im Comic erklärt, im Film hat man das wohl als offensichtlich angesehen: für Adele ist blau eine warme Farbe, da sie sie mit Emmas Haaren in Verbindung bringt und mit ihren Gefühlen für sie :)

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    2. Lieb von dir, Dankeschön. :-)

      Ich hab mir eh schon gedacht, dass das mit den blauen Haaren zusammenhängen könnte. Danke für die Erklärung. :)

      LG
      Stephan

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